von Heidrun Gehrke
Egal wie schnell, egal wie erschöpft, egal wie arg außer Atem – die Teilnehmerinnen und Teilnehmer von „Lauf geht’s“ können ihr Glück kaum fassen, sind auf Wolke sieben am wolkenlos blauen Himmel, irgendwo zwischen Freudentaumel und Erschöpfung. Sie haben einen Halbmarathon in den Beinen und ein Leuchten in den Gesichtern. So viele strahlende Menschen auf einem Fleck sieht man selten.
Alle sind über sich hinausgewachsen.
„Geschafft“, jubelt Dagmar Schreyer aus Winnenden. „Vor einem halben Jahr undenkbar“, sagt sie, nach Luft schnappend. Sie klatscht die Hände ihrer schon ausschnaufenden und an Wasserflaschen nuckelnden Mitstreiter ab. Kurz hintereinander sind die meisten ihrer Gruppe über die Ziellinie gelaufen, stramm gejoggt, im leichten Stolpergang oder etwas torkelig – alle hier sind über sich hinausgewachsen.
„Die Füße tun etwas weh, unterwegs hat die Muskulatur mal aufgemuckt und ab Kilometer 18 war’s mental schwierig“, berichtet Dagmar Schreyer weiter. Wie sie durchgehalten hat? „Nicht denken, einfach weitergehen, ich hatte so ein tolles Team.“
„Ich bin total stolz und einfach nur happy“
Mit ihr kommen in der Ortsmitte Urbach knapp 700 Läufer an, die ihr Ziel „Halbmarathon“ geschafft haben, davon 145 Lauf-geht’s-Teilnehmer, die am Programm des Zeitungsverlags Waiblingen teilgenommen hatten, zu erkennen an blauen T-Shirts. 36 Lauf-geht’s-Läuferinnen und -Läufer waren aus Göppingen dabei (NWZ). Sie alle haben monatelang konsequent an sich gearbeitet, gemäß dem ZVW-Gesundheitsprogramm von Dr. Feil in Intervallen trainiert und an ihrer Ernährung gefeilt, um die Power in die Beine und in den Körper zu bekommen.
„Ich bin total stolz und einfach nur happy“ – Friederike Schanz sprüht über vor Adrenalin. Ihr klatschnasses Gesicht glänzt in der Sonne, als sie Sohn Hannes einen Schmatzer auf die Backe drückt – der Fünfjährige hat sie über die Ziellinie begleitet. „Es war so traumhaft schön, ab der letzten Kurve ist er die letzten Meter mit der Mama mitgerannt“, berichtet sie stolz. Was sie jetzt als Allererstes will? „Ein Radler.“ Danach: „Essen, duschen, Beine hoch, ausruhen“. In ziemlich genau dieser Reihenfolge wird wohl der weitere Tagesablauf für viele Starter aussehen, die das Laufpensum über 21 oder 42 Kilometer auf sich genommen haben.
Vom Nichtsportler zum begeisterten Vielläufer
Eine Ausnahme ist Carsten Keller: „Ich spiele heute Abend noch mit meiner Band auf einem Fest in Weiler zum Stein und danach gehe ich noch zum Tanzkurs mit meiner Frau.“ Sagt der Schnellste aus dem Lauf-geht’s-Teilnehmerfeld da so locker-flockig, und sieht entspannt aus – da fällt einem alleine vom Zuhören die Kinnlade runter. Zumal er seinen allerersten Halbmarathon gelaufen ist, noch dazu in Rekordtempo von deutlich unter zwei Stunden. Nicht mal ein Schweißtropfen verrät das Pensum, das er abgespult hat. „Es war ein tolles Erlebnis, wie sich die Leistung langsam aufbaut durch das Lauf-geht’s-Programm“, schildert der 52-Jährige seine halbjährige Metamorphose vom bekennenden Nichtsportler zum begeisterten Vielläufer. Als Jugendlicher habe er eine Weile Leichtathletik gemacht, danach „nur bissle Radfahren, Spazieren“. Das werde sich vermutlich ändern. „Einen Marathon habe ich zwar nicht anvisiert, aber regelmäßiges Laufen wird sicherlich bleiben.“
Gute Vorsätze hat auch Jens-Peter Schmidt aus Winterbach. Er ist die Strecke gewalkt: Erstmals gab es bei „Lauf geht’s“ eine feste Walkinggruppe, in der neun Teilnehmer – davon drei Männer – durchgehalten haben. „Ich laufe weiterhin, aber nicht mehr das stramme Programm“, meint er. Er könne es kaum glauben, dass er es geschafft hat. „Trotz Arthrose Stufe 4“, sagt er lachend und umarmt seine Frau, Tochter und Sohn. Alle da, alle begeistert, er – noch etwas sprachlos – schnappt nach Luft, atmet und strahlt. „Ich bin überglücklich und freue mich jetzt auf das Weizenbier, das meine Frau mir eiskalt mitgebracht hat.“ Auslöser für die monatelange Anstrengung? „Ich wollte einfach mal wieder vom Sofa runterkommen.“ 2019 sei er schon mal einen Halbmarathon gelaufen. „Ich hätte operiert werden sollen, stattdessen bin ich der Arthrose davongelaufen.“
„Ich kann jetzt schneller gehen und länger durchhalten“
Mit in der – übrigens stockfreien – Walkinggruppe ist der 73-jährige Wilfried Marx aus Waiblingen. Auch er ist froh, dass er es gemacht hat. „Ich kann jetzt schneller gehen und länger durchhalten“, sagt er. Obwohl er inzwischen in Schwäbisch Gmünd wohnt, sei er zu den wöchentlichen Lauftrainings nach Winnenden gefahren. „Die Gruppe und unser Supertrainer haben mich mitgezogen.“
Teilnehmerin Birgit Spies massiert sich ihre abgekämpften Beine: „Einfach ein Supergefühl“, meint die 64-Jährige. Ihr linkes Schienbein ist getapt. Es sei bis kurz vor knapp auf der Kippe gestanden, ob sie den Halbmarathon laufen kann. „Der Arzt sagt Jogger-Schienbein.“ Seit vier Wochen habe sie ihr Lauftraining auf Eis gelegt – „nur etwas Aquajoggen und leichtes Radfahren“. Doch alles in ihr sagte: Jetzt erst recht. „Ich dachte, wenn ich heute daheim sitze und die anderen laufen, das halte ich nicht aus.“
Die Gruppe will sich weiterhin zum Laufen treffen
Ob sie es ein zweites Mal machen würde? Eher nein. Die Gruppe aber wolle sich weiterhin treffen. „Einfach nur, um die Fitness beizubehalten.“
Es ist kurz nach halb eins: Immer noch fallen sich die Läufer mit geröteten Gesichtern, kreischend vor Glück in die Arme, jubeln und weinen. Moderator Rafael Treite findet für jeden Zieleinlauf passende Worte der Anerkennung für die Läufer auf den letzten Metern. Zusätzlich werden sie angefeuert von vielen Zuschauern, die auch schon entlang der Strecke geklatscht, gerufen, gejubelt haben.Erstes Ziel für die meisten: die Verpflegungsstation. Das Trinkwasser in Pappbechern strömt über die Köpfe und über ausgetrocknete Lippen. Daneben glänzt das Wasser in den Wannen voller Apfelschnitze in der Sonne. Alles von Mitgliedern des SC Urbach bereitgestellt und geschnippelt. Sogar die Müsliriegel sind selbst gebacken und unverpackt. Weiter oben auf dem sonnenbeschienenen Marktplatz haben die Leichtathletik- und Fußballabteilungen zahlreiche Biergarnituren unter Schirmen aufgestellt, die Turner und der Lauftreff helfen auch mit. DRK und Feuerwehr betreuen Streckenposten, die Gemeinde war für die Absperrungen und den gesamten Zieleinlauf zuständig. Aus Boxen donnert Musik. Die Lauf-gehts-Teilnehmer haben einen eigenen Bereich zur Verfügung. Hier wird nach dem Lauf dann geplaudert – sobald sie eben wieder zu Worten finden nach dieser körperlichen Höchstleistung.