Peinliches Problem beim Halbmarathon: Was, wenn ich unterwegs pinkeln muss?

Von Andrea Wüstholz

Offen redet keine gern darüber. Im kleinen, privaten Kreis kommt das Thema dann doch zur Sprache jetzt so kurz vor dem Halbmarathon: Die Rede ist vom vermaledeiten Pinkel- und Beckenbodenschwäche-Problem.

Zum Hintergrund: Das Gesundheitsprogramm „Lauf geht’s“ startet nun in die letzte Phase. Beim Sparkassen-Remstal-Marathon am Sonntag, 24. September, werden sich die Läuferinnen und Läufer an eine Distanz heranwagen, die viele von ihnen zuvor noch nie im Laufschritt bewältigt haben. Rund 21 Kilometer sind zu überwinden. Start ist dieses Jahr in Schwäbisch Gmünd. Die Strecke verläuft remsabwärts, führt durch Lorch, Waldhausen und Plüderhausen und endet in Urbach.

Die Blase drückt beim Sport: Was hilft?

Und wenn ich unterwegs pinkeln muss? Diese bange Frage stellen sich naturgemäß besonders die Frauen und besonders dringlich die älteren. Warum das so ist und was hilft – dazu mehr im folgenden Text, siehe auch das Interview mit einem Spezialisten weiter unten.

Zunächst die erste beruhigende Botschaft: Während des Laufs setzt der Körper dermaßen viele Botenstoffe frei, dass das Pinkelthema eh in den Hintergrund rückt. Zumindest berichten das Teilnehmerinnen, die zu Anfangszeiten bei “Lauf geht’s” dabei waren; der Zeitungsverlag Waiblingen bietet das Programm ja nicht zum ersten Mal an.

An der Strecke sind Toiletten verfügbar

Die zweite, noch beruhigendere Botschaft: Für den Fall der Fälle sind an der Strecke Toiletten verfügbar. Am Start und am Ziel gibt’s selbstverständlich welche. Dazwischen kann frau in Lorch und in Plüderhausen kurz zwecks Pinkelpause den Lauf unterbrechen.

Harndrang beim Laufen: Tipps von passionierten Sportlern

Das allerdings dürften die meisten vermeiden wollen, weil sie fürchten, dann den Anschluss an ihre Gruppe zu verlieren. Also: Was tun?

Ein Blick in Foren, in welchen sich passionierte Läuferinnen und Läufer austauschen, fördert diese Tipps zutage:

  • Unter Athletinnen sei das Problem weit verbreitet, dass während des Joggens der Urin nicht vollständig dort bleibt, wo er bleiben sollte, heißt es. Der Fachbegriff heißt „Harninkontinenz“. Vermutlich belastender als die Sache selbst ist: Die meisten schweigen verschämt und glauben, nur sie selbst seien betroffen. Stimmt aber gar nicht. Also: das Thema aus der Tabuzone holen, das trägt zur Entspannung bei.
  • Für etwas „Abdämpfung“ sorgen gute Schuhe, die extra darauf ausgelegt sind, die Belastung beim Joggen abzufedern.
  • Vor dem Lauf genügend Zeit für den Toilettengang einplanen, zumal sich erfahrungsgemäß kurz vor Start dort noch Schlangen bilden. Dass vor lauter Aufregung dann die Blase nicht richtig entleert ist, bevor es wirklich losgeht – das muss ja nicht sein.
  • Auf besonders harntreibende Getränke vor dem Lauf besser verzichten oder nur ganz wenig davon konsumieren. Der Klassiker, der zielsicher zu übermäßigem Harndrang führt, ist dieser: zu viel Kaffee.
  • Einlagen verwenden. Das könnte auch dann helfen, wenn sie letztlich gar nicht nötig sind, einfach nur, weil sie ein Sicherheitsgefühl vermitteln. Aber: Es empfiehlt sich, schon vorher zu testen, wie sich das anfühlt. Beim Halbmarathon selbst ist es besser, aufs bereits Bewährte zurückzugreifen.
  • Beckenbodenschwäche: Oftmals helfen kleine Dinge
  • Wer weiß, vielleicht schließt sich in naher oder ferner Zukunft ein weiterer Halbmarathon an. Im besten Falle behalten Lauf-geht’s-Leute ihre neue Sportart bei. Ganz vielen gelingt das auch, zumal sie aufs Wohlgefühl nach einem erfrischenden Waldlauf nicht mehr verzichten möchten. Jetzt so kurz vorm Großereignis wird’s nicht mehr möglich sein, noch schnell eine Beckenbodenschwäche zu beseitigen. Auf längere Sicht ist das aber machbar und gar nicht selten weniger kompliziert als gedacht (siehe dazu auch das Interview weiter unten in diesem Text). Oftmals helfen schon kleine Dinge, sagt Heide Lust, die in Korb eine Physiotherapie-Praxis betreibt. Sie ist ausgebildete Beckenbodentherapeutin, diagnostiziert unter anderem via Ultraschall, was genau das jeweilige Problem ist, und stellt entsprechend einen Therapieplan auf. „Evidenzbasiert“, wie Heide Lust sagt, sprich: Die Therapie basiert auf Erkenntnissen aus Studien, in welchen die Wirksamkeit der Maßnahmen nachgewiesen ist.
  • Ein wirksames Hilfsmittel könnte ein medizinisches Pessar sein. Das Medizinprodukt stützt die Beckenorgane. Manche Frauen nutzen es gezielt nur beim Sport oder wenn sie Schweres zu tragen haben. Falls sich ein Pessar als das richtige Hilfsmittel erweisen sollte, rät Heide Lust, ein solches in einer Fachpraxis individuell anpassen zu lassen, statt irgendeins im Internet zu bestellen.
  • Oberarzt der Gynäkologie beantwortet die wichtigsten Fragen
  • Nicht nur für Sportlerinnen lohnt es sich in jedem Fall, dem Beckenbodenthema Aufmerksamkeit zu widmen. Am Klinikum Winnenden sowie auch an der Frauenklinik Stuttgart oder an der Tübinger Frauenklinik gibt es auf Beckenboden- und Inkontinenzprobleme spezialisierte Zentren, die passende Therapien zusammenstellen. Im Rems-Murr-Kreis ist Dr. Boris Jukic Koordinator des Interdisziplinären Kontinenz- und Beckenbodenzentrums, das an der Rems-Murr-Klinik in Winnenden angesiedelt ist. Er ist dort Oberarzt der Gynäkologie und Geburtshilfe und hat die folgenden Fragen beantwortet:
  • Sollte man bei Beckenbodenschwäche lieber gar nicht joggen, ist diese Sportart dann zu belastend?
  • Generell gibt es Sportarten, die den Beckenboden stärker strapazieren als andere. Dazu zählen etwa Volleyball, Trampolinspringen oder eben Joggen. Eher stärkend und damit gut für die Beckenbodenmuskulatur sind Sportarten wie Schwimmen oder auch Pilates. Bei einem stabilen Beckenboden und bei normaler Belastung ist Joggen kein Problem, und auch bei einer Beckenbodenschwäche muss niemand auf sein Laufhobby verzichten, solange man es nicht übertreibt. Es gibt sogar neuere Erkenntnisse aus der Sportart Trampolinspringen, dass eine kontrollierte Belastung unter Anleitung die Beckenbodenmuskulatur stärken kann.
  • Wie ist der aktuelle Wissensstand bezüglich bestmöglicher Rückbildung nach einer Geburt?
  • Nach einer Entbindung ist es wichtig, sechs bis acht Wochen zu pausieren mit beckenbodenbelastenden Tätigkeiten. Man spricht deshalb ganz bewusst auch vom Wochenbett als einer Zeit der Schonung. Das ist notwendig, weil sich der Beckenboden bei der Geburt stark dehnt. Nach diesen sechs bis acht Wochen Pause sollte die Mutter unter professioneller Anleitung einer Hebamme oder eines Physiotherapeuten Rückbildungstraining machen, etwa in speziellen Kursen. Diese Übungen sollten unbedingt auch zu Hause konsequent weiter durchgeführt werden. Denn mit Übungen allein im Rückbildungskurs erfolgt noch kein ausreichender Muskelwiederaufbau beziehungsweise keine Straffung des Beckenbodens. Das ist so wie im Fitnessstudio: Von ein paar Trainingstagen bekommt man noch keine Muskeln. Dazu braucht es eine ausreichend lange Zeit mit konsequentem Wiederholen der Übungen.
  • Manche Frauen haben nach Geburten schon in relativ jungen Jahren Inkontinenzprobleme, andere merken gar nichts: Welche Faktoren spielen eine Rolle bei der Frage, ob eine Frau eher eine Beckenbodenschwäche entwickelt oder nicht?
  • Allein durch unseren aufrechten Gang ist der Beckenboden beim Menschen ständig belastet. Zusätzlich wird er beansprucht durch Schwangerschaft und Geburt, durch Übergewicht, genetisch veranlagte Bindegewebsschwäche oder vorangegangene Beckenoperationen. Auch chronisch erhöhter Druck im Bauch, etwa bei Asthma, chronischer Bronchitis oder bei starken Rauchern, die viel husten, strapaziert den Beckenboden übermäßig. Und schließlich kommt noch die altersbedingte Erschlaffung des Bindegewebes hinzu, die durch Hormone verursacht wird.
  • Die Wechseljahre … Alles wird „schlaffer“, auch der Beckenboden – ist das unvermeidbar?
  • Die Hormonumstellung in den Wechseljahren einer Frau betrifft wie alle anderen Organe auch Becken und weibliche Geschlechtsorgane. Die Eierstöcke einer Frau produzieren postmenopausal, also nach den Wechseljahren, nur noch wenige oder gar keine Östrogene mehr. Das führt dazu, dass das Gewebe in Scheide, Harnröhre, Harnblase und Beckenbodenmuskulatur nicht mehr so gut durchblutet ist: Die Schleimhäute werden dünner und trocknen aus, das Bindegewebe wird schlaff. Deshalb kann es zur Inkontinenz kommen.
  • Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es und in welchen Fällen ist ein operativer Eingriff anzuraten?
  • Ein operativer Eingriff ist dann angezeigt, wenn alle konservativen Therapiemethoden ausgeschöpft sind. Dazu zählen medikamentöse Behandlungen mit lokaler Östrogengabe in Form von Zäpfchen oder Creme oder Anticholinergika bei Harndranginkontinenz, außerdem Beckenbodengymnastik oder auch eine Pessartherapie.

WO GIBT’S INFOS?

Gute Infos und Bücher gibt’s bei BeBo, das ist eine eingetragene Marke. Die Inhalte sind auf der Webseite www.beckenboden.com zu finden.

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